Nach der Debatte auf dem Grünen Bundesparteitag habe ich für die ZEIT diesen Gastbeitrag über den Gender-Star geschrieben. Er ist in der am 26.11.2015 erschienen.
„Habt ihr nichts Wichtigeres zu tun?« Seit Spiegel Online vergangene Woche einen Artikel über einen Antrag zum Grünen-Bundesparteitag veröffentlicht hat, in dem es um die Verwendung von geschlechtergerechter Sprache in Grünen Parteitagsanträgen geht, ist mir die Frage immer wieder von Medienvertreter*innen aber auch Parteimitgliedern gestellt worden.
Ob wir Grüne nichts Wichtigeres zu tun haben? Aber ja doch. Wir haben viel Wichtiges zu tun: wir haben am Wochenende auf unserem Parteitag in Halle die Anschläge in Paris und die Konsequenzen daraus thematisiert, wir haben lange Debatten zur Flüchtlingspolitik und zur Arbeitszeitpolitik geführt, und uns die Themen Wirtschaft und Klima vorgenommen.
Mit der Einführung des Gender-Star haben wir uns ganze drei Minuten befasst. Und trotzdem dominiert der Stern die Beiträge über den Grünen Parteitag in den sozialen Netzwerken und ist auch Thema in den Medien. Was also steht in diesem für viele offenbar so spektakulären Antrag?
Wir haben beschlossen, dass wir in Zukunft in Parteitagsanträgen den Gender-Star verwenden wollen. Es geht also um eine innerparteiliche Regelung für unsere Beschlüsse und nicht darum, dass wir fordern, die deutsche Sprache im Allgemeinen zu verändern. Wir haben uns mit diesem Antrag dafür entschieden, eine Sprache zu verwenden, die alle Menschen meint: mit dem Gender-Star wollen wir für Frauen, Lesben, Schwule, Bisexuelle, transgender, trans- und intersexuelle Personen (LSBTTI) eine Sichtbarkeit schaffen. Denn politische Sprache bildet Wirklichkeit.
Das zeigt zum Beispiel die Debatte über die sogenannte »Flüchtlingskrise«. Wenn immer wieder in Metaphern wie »Welle«, »Strom« oder »Lawine« von Geflüchteten gesprochen wird, setzt sich damit das Bild fest, dass die Menschen, die zu uns fliehen, einer Naturkatastrophe gleichkommen. So wird aus Sprache politisches Denken. Und aus Denken wird politisches Handeln, das wir zurzeit in Form von Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte und Pegida-Aufmärschen beobachten können.
Ähnliches gilt für das Geschlecht: Wenn wir beispielsweise immer nur von »Ärzten«, »Studenten«, »Lehrern« und »Juristen« reden, dann bilden sich in unseren Köpfen Bilder von Männern in weißen Kitteln oder mit Richterrobe, von Männern mit Macht und Einfluss. Wir Grüne wollen dazu beitragen, dass Sprache diese Bilder im Kopf weitet. Dass Frauen ebenso wie Menschen, die sich nicht dem männlichen oder dem weiblichen Geschlecht zuordnen wollen oder können, sichtbar werden – in Worten und in Gedanken. Denn Sprache kann die Vielfältigkeit von Menschen in vielfältigen Positionen abbilden. Sprache kann Flüchtlinge als Menschen und nicht als Massen beschreiben. Wir müssen es nur wollen.
Dass sich viele so auf dieses Sternchen stürzen, hat mich nicht überrascht. Was mich jedoch erschreckt hat, sind die Häme und der Hass mit denen einer geschlechtergerechten Sprache immer noch begegnet wird. Darin zeigt sich die Verbohrtheit unserer vermeintlich emanzipierten und multikulturellen Gesellschaft. Vor allem in sozialen Netzwerken und den Kommentarspalten im Internet finden sich rassistische, sexistische und antifeministische Positionen der selbsterwählten Sprachverfechter*innen.
So verfehlte der Antrag zum Gender-Star bei antifeministischen Gruppen wie der AfD und ihrem gesellschaftlichen Umfeld nicht seine Wirkung. Der AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen fühlte sich bemüßigt, eine eigene Pressemitteilung herauszugeben, in der er gegen uns Grüne polemisierte: »So schafft es die Partei in ihrem Gender-Wahn endgültig in die erste Liga der Sprachverstümmler*innen. Gratulation dazu unsererseits an die Gender-Star(r)-sinnig*innen der Grünen: Mehr dümmliche und sinnfreie Verunstaltung unserer Sprache geht nicht.« Der Facebook-Post dieser Pressemitteilung bekam rund 4000 Likes und wurde knapp eintausend mal geteilt.
Woher kommt all der Hass? Was kümmert es Jörg Meuthen, ob wir von Bürger*innen oder BürgerInnen schreiben?
Es ist nicht die Veränderung von Sprache an sich, die so viel Hass auf sich zieht. Vielmehr ist es die Gleichberechtigung der Geschlechter, die so viele Gegner*innen auf den Plan ruft. Was Meuthen und seine Anhänger*innen so ärgert, ist der Gedanke, dass plötzlich auch Frauen und LSBTTI-Personen einen Platz in der Öffentlichkeit haben sollen. Denn Gleichberechtigung meint immer noch, dass das männliche, heterosexuelle Geschlecht auf Privilegien verzichten muss.
Der Protest gegen Gender-Sterne reiht sich damit ein in den gesellschaftlichen Rollback, den AfD und Co. betreiben wollen. Was sie traditionelle Werte oder Abendland nennen, zielt tatsächlich darauf ab, feministische Errungenschaften zurückzudrehen. Es geht um die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbrüchen, um die Gleichstellung von LSBTTI-Personen, um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen und Mädchen über ihren Körper und um die Rolle von Frauen in der Gesellschaft.
Diesem Rollback müssen wir uns als politische Linke entgegenstellen und weiter dafür kämpfen, dass niemand mehr wegen seines Geschlechts oder seiner Sexualität diskriminiert wird. Wir Grüne werden daher den Shit
storm gegen den Gender-Star aushalten. Denn der Stern steht für unsere Überzeugung, dass dieses Land allen Raum bietet – auch in der Sprache.
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